
Wir danken allen Freund*innen und Unterstützer*innen, die am Samstag mit uns gegen soziale Verdrängung, hohe Mieten und für das Li(e)ber Anders auf der Straße waren. Im Folgenden findet ihr den Redebeitrag des Nutzer*innenplenums des Li(e)ber Anders. Einen ausführlichen Bericht mit Bildern gibt es hier.
Liebe Genoss*innen, liebe Unterstützer*innen, liebe Nachbar*innen!
Wie die Meisten von euch mittlerweile wohl wissen, haben wir, der Verein zur Förderung der politischen Bildung in Gaarden e.V., durch unsere Vermieterin Ulrike Berger Ende April überraschend eine Kündigung unserer Räumlichkeiten hier in der Iltisstraße 34 zum 31.7.2021 erhalten. Seitdem haben wir mit aller Kraft und auf verschiedenen Ebenen dafür gekämpft, die Berger an den Verhandlungstisch über den Verbleib unseres Ladens an seinem langjährigen Standort zu kriegen. Heute müssen wir leider feststellen, dass Bemühungen erfolglos geblieben sind. Wiederholt hat die Berger unsere Gesprächsgesuche freundlich aber bestimmt mit einem deutlichen Mittelfinger ausgeschlagen, trotz des großartigen öffentlichen Zuspruchs für unser Projekt in den letzten Wochen. Sie will uns raus haben, die genauen Gründe kennen wir bis heute nicht. Wenn kein kleines Wunder geschieht, sitzen wir also in einem Monat auf der Straße.
Unser Laden existiert nun schon seit 30 Jahren in durchgängiger Nutzung durch selbstorganisierte Projekte. Er entstand 1991 als Arbeitslosenladen der Arbeitsloseninitiative e.V.. Im Jahr 2007 kam es zu einer Neustrukturierung, das Li(e)ber Anders entstand als Stadtteilzentrum. Unter seinem Dach organisieren sich seitdem diverse politische und soziale Initiativen, darunter auch der Infoladen Libertärer Laden. Das Projekt hat mehrere Wechsel von Hauseigentümer*innen überlebt und ist die längste Konstante in der Hausgemeinschaft der Iltisstraße 34. Die aktuelle Eigentümer*in hat unser Haus erst 2014 gekauft. Der Gewerbemietvertrag mit unserem Verein, der nun gekündigt worden ist, stammt noch aus dem Jahre 2011.
Schon seit 30 Jahren finden sich bei uns Menschen aus dem Stadtteil zusammen, um sich gegen soziale Ungerechtigkeiten und politische Missstände im Kleinen wie im Großen zu wehren. Bei uns können Menschen zusammenkommen, sich vernetzen und politisch organisieren. Hier findet eine Sozial- und eine Mieter*innenberatung statt, hier wird bei staatlicher Repression geholfen und es gibt eine Küche für alle. Bei uns können Menschen Kaffee trinken und einen warmen Raum vorfinden. Hier kämpfen wir gegen Mieterhöhungen, gegen Verdrängung und für einen solidarischen Stadtteil. Hier haben wir mehreren Naziangriffen getrotzt und unzählige Demos und Aktionen vorbereitet. Zuletzt entstanden hier Initiativen wie das Nachbarschaftsnetzwerk Gaarden solidarisch gegen Corona, um im pandemischen Ausnahmezustand gegenseitige Hilfe von und für Gaardener*innen zu organisieren.
Der Laden ist selbstorganisiert und wird in einem solidarischen und gleichberechtigten Durch- und Miteinander von allen gefüllt und verwaltet, die Lust darauf haben und Räume brauchen. Zu seinen Nutzer*innen gehören politische Gruppen und Organisationen, aber auch Einzelpersonen und Anwohner*innen. Getragen und finanziert wird er von einem Verein, der derzeit 70 etwa Mitglieder hat. In den zurückliegenden drei Jahrzehnten wurden die Räume von zahllosen Menschen geprägt, sie sind als Anlaufstelle weit über Gaarden hinaus bekannt.
Dieses im Stadtteil einzigartige Projekt mit seiner langen Tradition will unsere Vermieterin, die noch nichteinmal zu den dicksten Fischen im Miethaibecken gehört, nun mutwillig und voller Überzeugung zerstören und hat uns nun mitten in einer Pandemie gekündigt. Sie hat die Lunte der alarmierenden Entwicklungen im Stadtteil gerochen und sieht im Angesicht der in ganz Kiel steigenden Mieten und der marktkonformen politischen Aufwertungsbemühungen in unserem Viertel, den Rubel rollen. Sie will „neue Konzepte“ für unser Haus verwirklichen, die Böses erahnen lassen. Das Li(e)ber Anders passt nicht in dieses neue Konzept, weil es für das Gaarden steht, das nun Stück für Stück abgeschafft werden soll. In Gaarden und drumherum entstehen teure Wohnkomplexe und Hotels, im Stadtteil nicht geerdete prestigereiche Kunst- und Kulturprojekte sollen für ein ansprechendes Ambiente für eine zahlungskräftige Klientel sorgen. Systematisch werden so alle verdrängt, die nicht in das neue Image passen. Das sind als erstes die vielen Gaardener*innen, die schon jetzt jeden Cent umdrehen müssen, um überhaupt ein Dach über dem Kopf zu haben. Auch selbstverwaltete, unkommerzielle und offen widerständige Projekte aus dem Stadtteil wie das L(i)eber Anders sind für solche Planungen mehr Störfaktor, als dass man hier große Gewinne auspressen könnte.
Dass dies so einfach möglich und von den Gesetzen dieses Staates gedeckt ist, ist der eigentliche Skandal. Wir, die hier in mehreren Generationen dafür sorgen, dass dieses Gebäude Menschen zu Gute kommt und im Sinne eines sozialen Miteinanders genutzt wird, die seit vielen Jahren in einer harmonierenden Hausgemeinschaft eine gute Nachbarschaft zu allen Mieter*innen der Iltisstraße 34 pflegen, werden nun gewaltsam auf die Straße gesetzt, nur weil eine reiche Frau aus Mönkeberg erst vor wenigen Jahren mit ihrem Geld den Grundbucheintrag auf ihren Namen geändert hat. Uns war das nie wirklich wichtig. Unsere Erfahrung hier im Haus ist, dass Eigentümer*innen kommen und gehen, das Verhältnis zu ihnen blieb in der Regel distanziert. Gelebt haben sie hier eh nie, irgendetwas in Stand gehalten meist auch nicht. Dass die Kontonummer, auf die wir zähneknirschend jeden Monat die Miete überweisen müssen, sich alle paar Jahre ändert, war für uns lange Jahre eine Randnotiz, denn das Haus, die Iltisstraße 34, sind immer wir gewesen: Die Mieter*innen in den WGs, die Laden-Nutzer*innen, unsere Gäste von nah und fern. Dieses Verhältnis hat sich in den letzten Jahren verändert, d.h. verschlechtert. Dass das Li(e)ber Anders hier nun rausgekündigt wird, ist die erste Eskalation des eisernen Willens der Berger, aus unserem Zuhause mehr Kohle rauszupressen. Wir müssen wohl leider davon ausgehen, dass es nicht die letzte ist. Und da dieser Stadtteil voll mit profitgeilen Hauseigentümer*innen ist, die oft sogar noch viel zwielichtiger und mächtiger sind als die Berger, wird dies auch kein Einzelfall bleiben. Dies ist deshalb unser dringender Appell an alle Nachbar*innen: Auch wenn wir nächsten Monat vielleicht nicht mehr hier sein sein sollten, lasst nicht zu, dass noch mehr von uns gehen müssen! Wehrt euch gegen die Verdrängung durch die Kapitalist*innenschweine, das ist unsere Straße, das ist unser Viertel! Wehrt Euch dagegen, dass diejenigen mit den Millionen auf dem Konto entscheiden, wer hier leben darf und wer nicht! Rotten wir uns zusammen, damit irgendwann niemand mehr Geschäfte mit der Miete, mit unserem Grundbedürfnis nach Wohnen und Gemeinschaft, machen kann; damit die Häuser irgendwann denen gehören, die sie brauchen und nutzen: Nämlich uns, den Leuten aus dem Stadtteil!
Das Li(e)ber Anders ist kein Ort, den man mal eben mit einer Kündigung dichtmachen kann, unser Laden sind hunderte Gaarden*innen, die für einen solidarischen Stadtteil kämpfen. Das haben wir heute nochmal deutlich gemacht. Wir werden wie es aussieht wohl sehr bald unseren geliebten Laden hier in der Iltisstraße verlassen müssen. Das Gesetz ist auf der Seite der Eigentümer*innen. Selbst wenn wir nicht freiwillig gehen, auch das bleibt natürlich eine Option, werden uns früher oder später die Bullen, die Hüter*innen dieser beschissenen Eigentumsordnung, hier rauskloppen. Aber so oder so kommen wir wieder. Unser Projekt hat ein stabiles Fundament, das sich die Räume schaffen wird, die wir so dringend brauchen. Und wo auch immer die in den nächsten Monaten sein werden: Ob in der Iltisstraße 34 oder zwei Straßenecken weiter, wir laden euch alle dahin ein, damit wir uns dann weiter organisieren und gemeinsam gegen diese große Schweinerei mit System, den Kapitalismus, zu Wehr setzen. Wir zählen auf euch!
Wir geben das Li(e)ber Anders nicht auf – wir lassen uns nicht verdrängen!
Organisiert den solidarischen Stadtteil! Wir bleiben Li(e)ber Anders!